Gastblog von Janna Kamphof
Die frische Morgensonne bricht gerade durch die Wolken, als ich am Bahnhof Enkhuizen ankomme. Das Wasser im Hafen glitzert und die Seile der Schiffsmasten klappern sanft im Wind. Ein Pärchen, das sich auf einen Segeltag vorbereitet, grüßt mich freundlich. Ein guter Start in meinen Tag in Enkhuizen! Im Fremdenverkehrsbüro am Hafen bekomme ich ein Büchlein mit einem Stadtrundgang und dann geht’s los.
Mein Spaziergang beginnt an einem der Häfen von Enkhuizen. Tatsächlich hat Enkhuizen mehrere Häfen: Zu Beginn des Goldenen Zeitalters wurde einer nach dem anderen errichtet. Aber später mehr zum Goldenen Zeitalter, nun geht’s mit dem Stadtrundgang weiter. Ein schöner Weg unter den Bäumen führt mich am Buitenhaven entlang, vorbei an Freizeitbooten und dem ehemaligen Fischbüro, zum Wahrzeichen von Enkhuizen: dem Drommedaris (Dromedar). Wer ein Tier erwartet, wird überrascht sein, denn das Drommedaris ist ein steinernes Tor. Ursprünglich zur Verteidigung der Stadt erbaut, erhielt das Tor erst am Ende des Achtzigjährigen Krieges seine charakteristische Form. Und ja, mit ein wenig Phantasie sieht es tatsächlich aus wie das Tier mit dem Höcker.
Bevor der Buitenhaven gegraben wurde, befand sich das Tor am Westfriese Omringdijk (Westfriesischer Ringdeich). Dieser Deich schützte früher die Bewohner vor dem Salzwasser. Eine Bank mit dem Namen des Deiches und einem lustigen Reim eingestanzt erinnert daran. Ich sitze eine Weile da. Elegante Segelboote, aber auch robuste Yachten segeln geschickt durch den engen Hafen ins IJsselmeer. Ich kann mir kaum vorstellen, dass hier vor ein paar Jahrhunderten die riesige Flotte von Enkhuizen die wilde Zuiderzee hinaufsegelte. Es muss hier ganz schön viel los gewesen sein.
Als ich über die weiße Zugbrücke hinter dem Drommedaris weiter in die Stadt gehe, sehe ich den Wohlstand aus der Zeit, als Enkhuizen eine geschäftige Hafenstadt war. Auf dem Dijk steht das ehemalige Wohnhaus der Patrizierfamilie Snouck van Loosen. Das reich verzierte Gebäude - in drei Phasen und damit in verschiedenen Stilen errichtet - zeigt: Diese Familie hatte viel Geld. Das hatten sie sich durch den Überseehandel der VOC und WIC verdient. Zu Beginn des Goldenen Zeitalters war Enkhuizen das Zuhause vieler Seefahrer, Entdecker, Kaufleute, Schiffsbauer und Wissenschaftler. Die Kaufleute verdienten gutes Geld mit dem Handel und ließen schöne Gebäude errichten. Als viele von ihnen in der zweiten Hälfte des Goldenen Zeitalters nach Amsterdam zogen, waren die glorreichen Zeiten von Enkhuizen vorbei, aber glücklicherweise sind die stummen Zeugen dieser Zeit gut erhalten geblieben.
Ich setze meinen Spaziergang in die Richtung vom Zuiderspui (Südschleuse) fort. Dort steht das Spuihuisje, ein ehemaliges Schleusenhäuschen. Hier konnte früher der Zuiderhaven abgeschlossen und das Grachtensystem durchgespült werden. Heutzutage befindet sich dort das Flaschenschiffmuseum mit einer beeindruckenden Sammlung von kleinen Schiffen in, ja genau, Flaschen. Es lohnt sich auch, einen Blick auf die Fassade zu werfen: Dort sind die Wappen von Hoorn, Oranje, Westfriesland, Enkhuizen und Medemblik zu sehen - die Orte des Goldenen Zeitalters. Ein paar Meter weiter sehe ich in der Gasse mit dem Namen Bocht einen Giebelstein, der einen Heringskutter zeigt. Und je mehr ich darauf achte, desto mehr Giebelsteine sehe ich. Einer schöner als der andere und alle mit einem Bezug zur Geschichte der Stadt.
Über den Wierdijk gehe ich zum Compagnieshaven und komme an Treppengiebelhäusern vorbei. Die schönen Gebäude waren früher Lagerhäuser der VOC. Ist Ihnen aufgefallen, dass die Stockwerke besonders niedrig sind? Das sollte verhindern, dass sich die Vorräte, zum Beispiel von Porzellan, Kaffee und Tee, zu hoch stapeln, damit sie die Böden nicht überlasten. Auch das etwas weiter gelegene Peperhuis (Pfefferhaus) war ein solches Lagerhaus, heute Teil des Zuiderzeemuseums. Einen Besuch des Museums hebe ich mir für den nächsten Tag in Enkhuizen auf, denn in der Stadt selbst gibt es noch so viel zu sehen. Am kleinen Tor mit dem Namen Staverse Poortje gehe ich wieder in Richtung Zentrum. Neben einer Doppelreihe von Bäumen fällt mir ein sehr schief stehendes Haus auf. In meinem Büchlein lese ich, dass das ehemalige Stadtgefängnis fast ein Meter aus dem Lot ist.
Ich laufe am Rathaus und der Waage vorbei, beide mit schönen Fassaden, und biege dann in den Westersteeg ein, um zur Zuiderkerk zu gehen. Der Kirchturm ist nicht umsonst 75 Meter hoch: Der Zuidertoren diente der Schifffahrt als Landmarke. Ich gehe um die Kirche herum und als ich die Uhr Mittag schlagen höre, gehe ich in Richtung Westerstraat: Zeit für einen Kaffee und ein Brötchen. In der gemütlichen Einkaufsstraße finde ich beides. Eines beim Coffy-Huys, das sich in einem ehemaligen Apothekengebäude mit kleinen Fenstern und einer verzierten Fassade befindet. Das andere bei 't Broodhuys, einer Bäckerei in einem Treppengiebelhaus mit einer schönen Einrichtung.
In der Westerstraat gibt es ohnehin eine Menge zu sehen. Ich laufe vorbei am ehemaligen Waisenhaus mit dem Giebelstein, der zeigt, wie die Kinder unterrichtet wurden, an den Türmen des Westertoren und der Westerkerk, an der reich verzierten Westfriese Munt (Westfriesische Münzprägeanstalt), wo 1794 die letzte Münze geschlagen wurde, und am Suppenhaus, wo Suppe für die Armen gekocht wurde. Schließlich erreiche ich das Marktmeestershuis. An der klassizistischen Fassade befindet sich ein Löwe im Holländischen Garten, ein Hinweis auf den Kampf der Niederländer um die Unabhängigkeit von der spanischen Krone. An der Spitze sehen Sie die Enkhuizer Stedenmaagd (Stadtjungfrau). Auf der anderen Seite dieses schönen Gebäudes entdecke ich eine kleine Gasse: Vierbeentjes. Nicht nur der Name der Gasse ist interessant, sondern auch der Giebelstein enthält ein kleines Rätsel. Zwei kleine schwarze Maulwürfe sägen Garn. Zu Niederländisch würde man ‚zagen gaarn‘ sagen, was auch bedeuten könnte, dass die beiden blinden Tiere ‚gerne sähen‘.
Vierbeentjes ist übrigens nicht der einzige besondere Straßenname in Enkhuizen. Wenn Sie in diese Gasse gehen, kommen Sie zur Waaigat, wo Sie auch die Straße Vette Knol sehen. Hä, wie bitte? Ja, das sind echte Straßennamen. Der Name Vierbeentjes kommt von den vier Gassen, die sich hier früher trafen, und die beiden anderen beziehen sich wahrscheinlich auf ein gleichnamiges Gewässer, das sich früher hier befand. Enkhuizen hat auch viele weitere ungewöhnliche Straßennamen, wie Drie Zalmen (drei Lachse), Augurksteeg (Gurkengasse) und Hemeltje (Himmelchen).
Tipp: Wenn Sie Lust auf einen Spaziergang im Grünen haben, können Sie statt links in die Gasse auch rechts in die Oude Gracht einbiegen. Früher war hier sehr viel los, wenn die Gärtner ihre Auktionen veranstaltet haben, aber jetzt ist es schön ruhig. Wenn Sie weiter geradeaus gehen, kommen Sie zu den Festungsmauern: einst eine Verteidigungsanlage, heute ein schöner, grüner Teil von Enkhuizen.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof gehe ich durch den Snouck van Loosenpark, eine Oase von Ruhe, Grün und Blumen mitten in der Stadt. Die letzte Nachkommin der Familie Snouck van Loosen - ja, die mit dem imposanten Grachtenhaus - hatte testamentarisch festgelegt, dass das Familienvermögen in einen Fonds für wohltätige Zwecke fließen sollte. Einer der Zwecke dieses Fonds war es, einen Park mit Sozialwohnungen zu finanzieren. Schönes Detail: Ein Teil ist im verspielten englischen Landschaftsstil angelegt, ein anderer im gepflegten, französischen Stil. Ich gehe den sich schlängelnden Weg am Wasser entlang und verlasse den Park durch das große gusseiserne Tor. Dann befinde ich mich wieder am Hafen. Ich setze mich mit einer Schüssel frischem Fisch an den Kai, genieße den Sonnenschein und die Aussicht auf die Boote, die in den Hafen ein- und ausfahren. Ein ganz schöner Abschluss des Tages in Enkhuizen!